Meine Strategie was Geld angeht und eigentlich auch die einzige, zu der ich mich sinnvoll äußern kann, ist Geld rational auszugeben entsprechend den eigenen Bedürfnissen.
Deine hingegen scheint mir entweder rein ideologisch getrieben zu sein - also irgendwas in der Richtung von "jeglicher unnötiger Konsum ist unethisch" - oder irrational und nicht deinen eigenen Bedürfnissen entsprechend - außer eben dem Bedürfnis, zu sparen.
Um das mal möglichst theoretisch am gegebenen Beispiel zu illustrieren: Ein Freund und du haben beide eine Sparquote von 25%. Plötzlich verdient ihr beide das Doppelte. Dein Freund hat immer noch eine Sparquote von 25% und wie du sagst: der Lebensstandard passt sich dem Gehalt an. Dein Lebensstandard ändert sich nicht, also ist deine Sparquote jetzt (200% -75%) / 2 = 62,5%.
Aus meiner Sicht agiert hier ganz klar dein Freund rational und du irrational. Und zwar nicht subjektiv, sondern objektiv und völlig unabhängig von euren spezifischen Bedürfnissen. Wenn wir davon ausgehen, dass es in allen Lebensbereichen einen Grenznutzen gibt, jeder Euro, den man also in einen bestimmten Lebensbereich steckt, immer weniger Nutzen einbringt, ist dein Freund in der Lage, jene Euros, wenn er denn will und rational genug handelt, optimal auf alle Lebensbereiche zu verteilen. Inklusive sparen/zukünftiger Konsum, denn sein absoluter Sparbetrag hat sich ja auch verdoppelt.
Bei dir hingegen fließt jeder Euro in die Zukunft. Implizit machst du also die Annahme, dass es in der Gegenwart nur zwei Arten von Waren und Dienstleistungen gibt: die, die deinem umittelbaren Überleben dienen und die, die völlig wertlos sind. Dazwischen gibt es gar nichts. Ansonsten würdest du zwangsläufig Dinge in der Gegenwart finden, in die ein Teil deines neu dazugewonnen Geldes fließen würde. Das ist kein unkontrolliert ausuferender Lebensstandard, das ist rationale Ressourcenallokation.
Warum soll man mehr verbrauchen als man muss? Ich bin schon pro Ungleichheit - ein Gehirnzelle braucht ja auch mehr Energie als eine Muskelzelle. Aber keine Zelle des Körpers verwendet mehr Energie als sie muss - außer vielleicht Krebs.
Weils Spass bringt? Weil Musik auf einem Beyerdynamic Kopfhöhrer besser klingt als auf 20€ Elektroschrottklumpen? Weil es einfach keine Fernseher gibt, die für 300€ die Bild- und Tonqualität von einem 2000€ Fernseher haben? Weil es Hobbies gibt, die Geld kosten und trotzdem Spass bringen? Weil du dir Kleidungs- und Möbelstücke danach aussuchen kannst, ob du sie wirklich haben willst und nicht danach, was der 2nd Hand Shop gerade hat?
Die Annahme, dass Mehrausgaben zwangsläufig in Statusobjekte fließt, stimmt einfach nicht. Ich habe auch keinerlei Bedürfnis nach Statussymbolen. Wenn ich wollte, könnte ich morgen bei Rolex anrufen und fragen, ob sie mir aus den Uhren eine Tapete machen. Ich habe keine Rolex. Mein Auto kostet weniger als das eines Durchschnittsverdieners. Ich besitze genau 0 dedizierte Statussymbole. Trotzdem gebe ich ständig mehr Geld aus, als ich müsste oder als ich früher ausgegeben habe. Weil es einfach Dinge gibt, die früher in meinem Budget nicht rational vertretbar waren - weil andere Dinge mit größeren Nutzen hätten wegfallen müssen - die aber trotzdem einen Nutzen oder Spassfaktor > 0 haben. Bzw. eben auch höher als warten auf den größeren Nutzen in der Zukunft.
Die Metapher mit den Zellen finde ich ziemlich witzig. Ich sehe mich scheinbar deutlich mehr als Individuum, während du dich eher als uneigennütziger Teil eines Ganzen siehst. Für Zellen macht Effizienz tatsächlich Sinn. Bei Individuen ist es allerdings genau andersrum - sie konsumieren im Regelfall nicht genau, was sie müssen, sondern im Gegenteil meistens soviel wie sie können, sogar dann, wenn es ihnen schadet. Siehe zum Beispiel Räuber-Beute-Zyklus. Aber auch der ganze Kapitalismus funktioniert nicht ohne diesen irrationalen Exzess.
Ok, so wirklich funktionieren tut der Kapitalismus ja nicht, aber ich sehe Rationalität eher als Mittel, um schädlichen Exzess zu vermeiden und Bedürfnisse zu reflektieren. Sowohl um selber besser zu leben als auch die inherenten Nachteile des Kapitalismus zu minimieren.