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Board Deutsch (German)
Re: Umsatzsteuer auf Kryptos
by
twbt
on 21/02/2018, 18:48:33 UTC
Diese interne Verwaltungspraxis, dass Urteile von den Finanzämtern nur dann angewendet werden dürfen, wenn sie vom BMF "freigegeben" sind, ist natürlich schreiend europarechtswidrig, weil der Auslegungstenor einschlägiger EuGH-Entscheidungen von allen (!) staatlichen Organen, also auch den einzelnen Finanzämtern, sofort nach Verkündung zu beachten ist. Das ist ständige Rechtsprechung des EuGH seit jeher, besonders ausgeführt in den sog. Glücksspiel-Urteilen vom 08.09.2010 (Carmen Media, Markus Stoß, Kulpa Automatenservice Asperg und Winner Wetten). Das Finanzamt Bonn-Innenstadt war europarechtlich verpflichtet, die vom EuGH klar vorgezeichnete richtlinienkonforme Auslegung im konkreten Fall selbst vorzunehmen.

Ich finde das einen ausgesprochen interessanten Punkt, denn offensichtlich weiß davon das Finanzamt ja ganz offensichtlich nichts. Vielmehr wird konstatiert:

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Weiterhin ist ebenso keine Verfügung zum Anwendungsvorrang ergangen.

Der Anwendungsvorrang gilt also aus Sicht des FAs erst dann, wenn er von einer übergeordneten Behörde (dem BMF?) verfügt worden ist - was einen Widerspruch in sich selbst darstellt. Der Anwendungsvorrang ist doch schlicht bestehendes Recht - und das muss schlicht nicht nochmal innerbehördlich durch einen Verwaltungsakt verfügt werden.

BMF erkennt also Umsatzsteuerbefreiung gemäß dem Hedqvist-Urteil des EuGH vom 22.10.2015 entgegen anderslautender Mutmaßungen einzelner Steuerberater, Anwälte und Blogs ausdrücklich an. Auf diese E-Mail (schon komisch in einem Rechtsstaat, oder?) sollte sich dann einstweilen jeder gegenüber der Steuerverwaltung berufen, bis die offizielle Verwaltungsanweisung die Finanzämter dann auch formell verpflichtet, so zu verfahren.

Wenn ich das recht sehe, folgst Du dann damit - ganz pragmatisch - der offensichtlich rechtswidrigen Praxis: Man beruft sich nicht auf das bestehende Recht, sondern auf eine E-Mail. Das ist wirklich mehr als komisch in einem Rechtsstaat, aber offensichtlich notwendig, um mit einer deutschen Behörde zu kommunizieren. Unterm Strich macht einen das aber auch etwas fassungslos.

Übrigens sieht es das BMF juristisch genauso, wie ich gepostet hatte (siehe oben): Finanzämter müssen die Steuerbefreiung nach § 4 Nr.8 Buchst.b UStG richtlinienkonform auf den Bitcoin erstrecken, ihn also umsatzsteuerrechtlich den gesetzlichen Zahlungsmitteln gleichstellen. Bin froh, dass mich mein Judiz nicht verlassen hat ....  Wink

Yep. Aber eigentlich müsste man da jetzt einen Schritt weitergehen. Mich würde weiterhin interessieren, wie es dazu kommen kann, dass eine Verwaltungspraxis existiert, die de facto die europäische Rechtsordnung ignoriert bzw. ihr offen widerspricht.