Ich weiß nicht, ob mein Eindruck zu 100% zutrifft. Mich beschleicht aber schon seit 10 - 15 Jahren ein merkwürdiges Gefühl.
Da ich das "Gefühl" selber gut kenne, muss ich da mal eine skeptische Frage einwerfen:
ist es tatsächlich so, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung unzufrieden mit dem Status Quo ist, oder ist es nicht vielleicht vielmehr so, dass ein wachsender Bevölkerungsteil gar wegen der eigentlichen Zufriedenheit Unmut über immer unbedeutendere Kleinigkeiten empfindet?
Wir kennen das ja vom sprichwörtlichen alten Opa, dem es gut geht, der sich im Alter aber über die Kinder aufregt, die "den Rasen kaputtmachen", und den ganzen Tag über der Fensterbank hängt, um auf "die Jugend von heute" zu schimpfen.
Ich will hier auch nicht behaupten, dass der von mir geschilderte "Mechanismus" unbedingt zutrifft, oder gar dominant ist.
Aber die Fragestellung, ob nicht wenigstens zum Teil, oder gar zu einem erheblichen Teil so etwas dahintersteckt, ist sicherlich nicht ganz verkehrt.
Mein persönlicher Eindruck ist in der Tat, dass gerade diejenigen innerhalb unserer Gesellschaft, denen es heute objektiv erheblich besser geht als einer Vergleichsgruppe vor einigen Jahrzehnten, heute wesentlich eher bereit sind, "Unmut" auch offensiv zu äußern.
Stichwort: "Wutbürger".
Das waren die gut-situierten schwäbischen Häuslebauer, die im Laufe der letzten Jahrzehnte eigenheimbedingt zu (zumindest rechnerisch) Quasi-Millionären wurden, deren Kinder Auslandssemester auf Erasmus machen, die 'nen Audi oder Benz in der Doppelgarage stehen haben, und den Zweit-Smart gleich daneben, die sich gegen Stuttgart 21 gestellt haben, weil sie die Baustelle in der Innenstadt einfach nicht haben wollten.
Das waren ausdrücklich
nicht die Verlierer der Gesellschaft, der europäischen Einigung, der Digitalisierung oder der Immigration.
Und wenn wir zu unseren westlichen Nachbarn schauen, waren die Gelbwesten auch nicht das Prekariat aus den von dir angesprochenen Banlieus.
Ich habe Verwandte, Bekannte und Freunde in Griechenland, Italien, in der Bratagne, in Teilen Nordspaniens [...]
Die werden von existenziellen Dingen und einem völligen Mißtrauen gegenüber den Institutionen angetrieben.
Aber sind die es, die auf die Straße gehen?
Äußern die ihren Unmut überhaupt?
Meiner Ansicht nach sind das eher die frustrierten, abgehängten Nicht-Wähler.
Aber da kann mein Eindruck ja auch täuschen.
Corona und die Maßnahmen werden hier ein Brandbeschleuniger.
Ja, absolut ja.
Dass ich Corona-bedingt fundamentalen Wandel erwarte, habe ich schon vor Monaten geschrieben.
Die Frage ist vor allem, in welche Richtung es geht.