Meine Strategie was Geld angeht und eigentlich auch die einzige, zu der ich mich sinnvoll äußern kann, ist Geld rational auszugeben entsprechend den eigenen Bedürfnissen.
Der Satz ist spannend, weil er zugleich Widersprüche und unterschiedlicher Sichtweisen aufzeigt. Was genau heißt das denn bitte?
Wenn ich im Urlaub Lust auf ein Eis habe, die Kugel aber 3,50€ kostet, hole ich mir ein Eis oder nicht? Die Bedürfnisse sagen ja, der rationale Verstand nein, weil ich zum selben Preis auch eine 1L Eisbox holen könnte. Der Aufpreis bietet nur den Komfort das Bedürfnis sofort befriedigen zu können, aber muss ich das wirklich oder kann ich nicht etwas warten um das Geld effizienter einzusetzen.
ist das wirklich so? Kriegst du wirklich nur das "sofort" für die 3,50€? Das kann durchaus so sein, aber vielleicht sitzt du auch später mit deiner metrischen Tonne Schokoeis am klapprigen Küchentisch und stellst fest, dass dir das Eis essen gar keinen Spass mehr bringt. Bedürfnisse sind nunmal irrational und oft ohne drüber nachzudenken nicht ummittelbar verständlich. Vielleicht wäre für dich die rationalste Investition ein schöner Garten, in dem du dein günstiges Eis genauso genießen kannst wie unterwegs. Vielleicht wolltest du aber auch bloss mal kurz ein paar Minuten Pause machen und den Leuten am Strand oder in der Fussgängerzone zugucken. Klar, geht auch ohne Eis, aber wenn das Eis das in dem Moment schöner macht sehe ich das durchaus als rationale Investition.
Muss es das neueste Handy immer sofort sein oder kann ich auf das aktuell neueste Modell noch 2 Jahre warten?
Wenn neu alles ist, was das neue Handy bringt, kann es warten. Wenn du mit deinem Handy den ganzen Tag lang Fotos machst und die Kamera 1000x besser ist als die alte, musst du halt mal in dich gehen und feststellen, ob dir die alte Kamera reicht oder ob du dich die nächsten 2 Jahre über deine beschissene Kamera ärgerst. Irrational wird es imho nur dann, wenn du die neue Kamera für Features kaufst, die du gar nicht brauchst oder wenn das Verhältnis zu deinem Budget und deinen sonstigen Luxusausgaben nicht stimmt.
Um das mal am Beispiel zu illustrieren: Ein Freund und du haben eine Sparquote von 25% und insgesamt eine ähnliche Lebenssituation. Du bist beruflich erfolgreicher und verdienst nach 5 Jahren das 2,5-fache während dein Freund nur das 1,5-fache verdient. Dein Freund hat immer noch eine Sparquote von 25% und konnte trotzdem den Konsum um den Faktor 1,5x erhöhen. Was tust du? Erhöhst du deinen Konsum um 2,5x weil du es kannst oder um 1,5x weil es ausreicht?
In letzterem Fall steigt die Sparquote auf 55%. Das zusätzlich Gesparte bringt wieder neu zusätzliches Einkommen. Nochmal 5 Jahre später wieder 2,5x beim Einkommen, wieder 1,5x beim Konsum bringt die Sparquote auf 73%. Obwohl du noch immer den selben Lebensstandard pflegst wie dein Freund ist deine Sparquote fast 3x so hoch.
Ganz pauschal würde ich das nicht beantworten wollen, aber vermutlich handelt der Freund rationaler. Deine Erhöhung der Sparquote bedeutet ja, dass du den Wert zukünftiger Ausgaben höher bewertest als vor deiner Gehaltserhöhung. Das macht meiner Meinung nach nur Sinn, wenn du entweder a) so wenig Geld hattest, dass du kaum sparen konntest b) einen so hohen Lebensstandard hast, dass zusätzliches Geldausgeben dir kaum noch einen zusätzlichen Nutzen bringen c) oder dir das Sicherheitsgefühl durch das gesparte Geld einen so großen Zusatznutzen bringt, das es den Nutzen durch den unmittelbaren Konsum überwiegt.
In deinem Fall ist das Sparen also vermutlich irrational, weil du aktuell viel mehr Nutzen aus höheren Ausgaben ziehst als in der Zukunft, in der du ja (absehbar?) ein noch viel höheres Einkommen hast und entsprechend die vorher hart ersparte Summe kaum Zusatznutzen hat bzw. viel leichter zu ersparen ist.
Ganz anders würde es beispielsweise bei einem Selbstständigen aussehen, der gerade sehr erfolgreich ist, aber darauf keineswegs langfristig zählen kann. Wenn er sofort seinen Lebensstandard maximal erhöht, beraubt er sich nicht nur eines emotional wichtigen Sicherheitsbuffers, er gibt auch ständig Euros sehr ineffizient für teilweise exzessiven Luxus aus, der ihm kaum Nutzen bringt. Wenn die beruflich gute Phase mal enden sollte, wären diese gesparten Euros aber auf einmal wieder sehr viel Wert, weil sie a) aktuell sehr schwierig zu beschaffen sind und b) bei nun wieder niedrigem Lebensstandard jeder zusätzliche Euro viel mehr Nutzen entfaltet. Im Übrigen ist ein starkes Senken des eigenen Lebensstandards natürlich auch eine emotionale Belastung, die über die rein rationale Nutzen pro Euro Kalkulation hinausgeht und meistens auch noch mit Zusatzkosten durch Umziehen oder Verkaufen von Luxusgegenständen zu suboptimalen Preisen einhergeht.
Ist es jetzt rational überdurchschnittlich zu sparen/investieren oder ist es rational überdurchschnittlich zu konsumieren?
Ich bin der Überzeugung dass überdurchschnittliches Sparen/Investieren mit den Jahren automatisch auch zu überdurchschnittlichem Konsum führt. Indem ich mit dem Konsum warte kann ich beides haben, Vermögen und Konsum. Der sofortige Konsum dagegen steht dem Vermögensaufbau im Weg (oder verhindert ihn sogar) sodass ich langfristig wahrscheinlich sogar weniger Konsumieren würde.
Ich sehe in hohen Sparraten nichts Irrationales, solange die individuellen Bedürfnisse erfüllt sind. Ich lebe lieber bewusst unter meinen Verhältnissen, als einen höheren Standard zu wählen und das Risiko einzugehen durch unvorhersehbare Einkommenseinbußen mein Vermögensaufbau und meine Absicherung fürs Alter zu gefährden. Wenn ich früh sterbe hab ich dann doppelt Pech gehabt.
Letztlich ist das ja sowieso eine höchst individuelle Entscheidung, welchen Lebenspfad man diesbezüglich einschlagen möchte.
Ich denke, ein allgemeingültige Antwort darauf gibt es nicht. Die meisten Menschen haben eher eine zu niedrige Sparquote und Altersarmut ist sowohl scheisse als auch erschreckend normal. Die Erträge aus sicheren Investments nach Inflation und Steuer sind jetzt aber auch nicht so hoch, dass sie ein unheimlich höheres Konsumniveau in der Zukunft ermöglichen würden. Insofern sehe ich gerade für Gehaltsempfänger mit eher sicheren Jobs die Stabilisierung des eigenen Lebensstandards als die beste Lösung an. Wenn man für einen adequaten Sicherheitspuffer spart und anschließend hauptsächlich für das Erhalten des Lebensstandards in der Rente, sehe ich das als vernünftig an. Wenn man am Ende nur der reichste Mensch auf dem Friedhof ist, hat man allerdings definitiv was falsch gemacht.